Ausschnitt von einem Arbeitstisch aus einer Schreibwerkstatt

Werkstatt-Texte

Litko-Schreibwerkstatt für junge Autor*innen - mit Laura Müller-Hennig

Gut zwei Jahre lang haben sich die Teilnehmer*innen der Litko-Schreibwerkstatt für junge Autor*innen unter der Leitung von Laura Müller-Hennig am Thema ›Licht und Schatten‹ ausprobiert. Zu unterschiedlichen Schreibanregungen aus Kunst und Literatur entstand eine Reihe von lyrischen, prosaischen und bisweilen experimentellen Kurztexten, die die unterschiedlichen Facetten des Themas aufgreifen: von Sonnenschein und Nacht über Jahreszeiten und Lichter der Stadt bis hin zu Sinneswahrnehmungen, Lichtphänomenen und vielem mehr. Neben der hier zu lesenden Textauswahl ist im Rahmen des Projektes auch die Audiolesung ›Wie ein Glockenschlag in der Nacht‹ entstanden, die man hier anhören kann

Dunkelheit

Komm mit mir in die Dunkelheit,
komm mit, ich zeig es dir.
Seite an Seite, Schritt für Schritt.
Ich bin bei dir.
Ich begleite dich auf dieser Reise, nimm meine Hand.
Ich spüre deine Angst, deinen Atem und deinen Herzschlag.
Du kannst deine Angst nicht verbergen, dafür kenne ich dich zu gut.
Ich weiß wer du bist. Vielleicht weißt du nicht, wer oder was ich bin, aber das musst du auch nicht.
Du hast keine Angst davor, allein zu sein, wenn es dunkel ist, du hast Angst davor, dass du nicht
alleine bist.
Komm mit mir in die Dunkelheit.
Ich werde da sein, ich werde deine Wahrheit sein.
Die Wahrheit, die du verbirgst, die Wahrheit, die du träumst.

Nachtstadt

Es könnte wie 1945 in Chicago sein,
ein Abend wie damals, schön und fein,
so fahre ich nun mit dem Rad,
bis zum Ende dieser Stadt.

Tanze auf den warmen Straßen,
lebe meinen Sommertraum,
spüre das Kitzeln auf dem Rasen,
bewege mich auf schönstem Raum.

Langsam bricht die Nacht herein,
mit einem Himmel voller Sternenschein.
ich laufe den steilen Hügel hoch,
und tauche in den Himmel los.

Tiefenentspannt

Neugierig schaue ich mich um und suche mit allem, was ich habe, nach Eindrücken. Dabei sehe ich vor allem müde, aber auch gleichzeitig zufriedene Gesichter, wenn ich mit meinem beobachtenden Blick durch die Menschenmengen schaue. Lächelnde Eltern, die ohne schlechtes Gewissen ihren Kindern etwas Teures zum Spielen kaufen oder Arbeitnehmer, die mit entspannten Gesichtszügen in die Pedale treten und sich auf den Heimweg machen.
Selbst an den Haltestellen ist es ruhig und wenig aufgeheizt, während die Menschen ein und aussteigen.
Keiner der Radfahrer beschwert sich darüber, dass der Autofahrer der sie kreuzt, einfach weiter fährt. Tiefenentspannung prägt das Stadtbild. Nur in den großen, leuchtenden Zimmern der alten Häuser regt sich ab und zu Widerstand in den Menschen, während andere ihnen etwas am Telefon erzählen.

Eine Annäherung,

Raum trotzt Haltung,
Erscheinung brennt mir
sehr wohl jetzt
wie kaum irgendwo sonst,
aus gutem Grund mal wieder
fast drei Farben, und einen
Schlag in den müden Menschen.

Was ist Liebe?

Liebe ist etwas stetig Wachsendes,
sie zwingt nicht, Dinge zu tun und
sie hält dich nicht an, wenn du sie tust.
Was kann man schon meinen, wenn man das schwelgerische Wort Liebe hört?
Es bedroht einen.
Müsste ich nicht genau jetzt auch
Liebe spüren?
Müsste ich nicht wie die anderen vor Selbststolz, vor Aufrichtigkeit
in Funken Liebe sprühen?
Aus Liebe müsste ich doch Dinge tun, zu denen ich sonst nicht
imstande wäre zu tun.
Ich müsste doch springen
oder zumindest mal, so ganz abwegig
EINMAL MUTIG SEIN.
Für die Liebe.
Ein einziger Gedanke reicht und ich bekomme Blockaden.
Ein einziger Gedanke reicht und er treibt mich zu dir.

Kindliche Träume

Wir sitzen im warmen Zimmer im Lichtkegel der alten Lampe. Die Lampe gehört meiner Großmutter, genauso wie das Haus. Wir spielen gerne hier.Es eignet sich super zum Verstecken- Spielen. Meine Brüder sind gut darin. Sie sind schnell und geschickt. Ich bin anders als sie. Manchmal bin ich auch wild und stark, aber nur in meiner Fantasie. Ich denke mir gerne ferne Orte aus und erfinde Worte.
Gerade bin ich mit Zählen dran. Mattes und Julius verstecken sich.
“Drei, zwei, eins, ich komme!” rufe ich und fange an zu suchen, doch ich verliere mich in den Geschichten in meinem Kopf. Ich gehe zum Klavier und wische den Staub vom Deckel. Es riecht nach altem Papier und dem Rosenöl, das meine Großmutter immer benutzt. Dann verschwindet der Duft und ich wische nicht mehr den Staub vom Klavierdeckel, sondern putze das Deck eines riesigen Schiffes. Ich bin der Kapitän und alle bewundern mich für meinen Mut. Ich sage Ihnen, dass jeder, der mit mir auf diesem Schiff fährt, genauso mutig ist wie ich.
Dann ist alles vorbei und ich stehe wieder vor dem Klavier. Leise schleiche ich weiter und nähere mich dem alten Kleiderschrank, der immer knirscht, wenn man die Tür öffnet. Zwischen den Kleidern und alten Bücherkisten versteckt sich Mattes, der gar nicht erfreut ist, mich zu sehen.
„Bin ich der erste, den du gefunden hast?“ fragt er.
Ich höre ihn nicht. Aus dem Kleiderschrank wird ein Fahrstuhl, der mich mitnimmt, bis ganz nach oben. Es ist ganz dunkel und eng im Fahrstuhl. Als er seine Türen öffnet, atme ich auf. Wie schnell man das Licht vermissen kann!
Ich gehe nach draußen und sehe mich um. Ich stehe auf einer hell beleuchteten Plattform und schaue nach unten. Winzige Autos fahren dort kaum größer als die, mein Bruder zu Weihnachten bekommen hat. Es ist kalt, ich sehne mich nach einer warmen Dusche, und gleichzeitig möchte ich hierbleiben in der großen Welt, von der ich selbst so ein kleiner Teil bin. Dann bin ich wieder im Wohnzimmer und liege auf dem Teppich. In meinem Kopf fliegt er wie der Teppich aus Aladin durch die Wüste. Ich bin glücklich und gerne zu Hause, aber irgendetwas ist in mir, in meinem Kopf, das mich immer wieder nach draußen zieht.

Licht am hellen Tag (Auszug aus der Sammlung)

Chaos

Die Magie des Unsteten, die Medizin des Gesunden, die Klarheit des Irren. Nichts ist mehr, wie es war.
Doch es ist eine schöne Ungemütlichkeit.

Karawane

Kamelreiter saßen auf ihren Kamelen, mit Tüchern und Decken schwer bepackt, und ritten.
Eine lange Reihe, dicht an dicht, unter sich nichts als die glühend heißen Sandkörner der Wüste, im Sonnenschein scheinbar zu einem gelben Meer verlaufen.
Der Pinsel des Künstlers brachte den durstenden Reitern die Oase.

Ruf ohne Hall

Sie schrie nach ihnen. Panisch, manisch. Lief auf und ab, schrie wieder und zog sich ihre Schuhe an. Wenn den beiden etwas passiert war...
Die beiden schrien. Fröhlich, glücklich. Hatten die Zeit vergessen.