Aus dem Gepäck der Kriegskinder
Im Gedenken an den im Januar 2013 verstorbene Bremer Lyriker und Friedensaktivist Otmar Leist sollte aus dem Erlös seines Büchernachlasses ein literarisches Projekt gefördert werden zum Thema Krieg und Frieden. Das Bremer Literaturkontor mit Angelika Sinn hat daraufhin einen Workshop zum Thema Kriegskinder angeregt und Inge Buck im Herbst 2014 die Leitung angetragen. Ausdrücklich nicht für junge Autoren, sondern für Bremer Autorinnen und Autoren, die den Zweiten Weltkrieg als Kinder oder Jugendliche erlebt hatten.
Die Resonanz auf die öffentliche Ausschreibung war eher zurück-haltend, wenn nicht abwehrend, vielleicht sogar angstbesetzt. Für den Workshop meldeten sich nicht mehr als sechs Interessenten an, von denen mit Mathias Groll und Christine Mattner schließlich zwei blieben und schrieben, eine Reise in die Vergangenheit, die ihre eigene Dynamik entfaltete.
Das Schreibprojekt ›Aus dem Gepäck der Kriegskinder‹ im Herbst 2014 für zwei Wochenenden vom Bremer Literaturkontor in Kooperation mit der Deutschen Friedensgesellschaft geplant, überdauerte den Winter. Im Frühjahr 2015 war aus Gedichten und Geschichten ein Manuskript entstanden, in dem das Allgemeine der Kriegskinder-Generation des Zweiten Weltkrieges in den individuellen Texten sich wiederspiegelt, denn Im Individuellsten wird das Allgemeinste sichtbar. (Adorno, Minima Moralia).
In Gesprächen mit dem Falkenberg Verlag Bremen entwickelte sich schließlich aus dem Schreibprojekt das Buchprojekt, für das mit Lisa Helms, Siegfried Marquardt, Hartwig Struckmeyer, Karl-Heinz Tauss und Ursula Ziebarth weitere Bremer Autorinnen und Autoren der Kriegsgeneration gewonnen werden konnten. Alle Autoren und Autorinnen haben für den vorliegenden Band Texte geschrieben, die sie eigentlich nicht schreiben wollten, Erinnerungen, die ungewollt aufstiegen aus dem inneren Gepäck der Kriegskinder im großstädtischen, kleinstädtischen und dörflichen Raum in der zeitlichen Spanne der Geburtsjahrgänge zwischen 1920 und 1940.
Die Orte der Kriegskinder: im Luftschutzbunker zuhause, ausgebombt, zwangseinquartiert, evakuiert, kinderlandverschickt, auf der Flucht, zu Fuß unterwegs. Der Kriegsalltag, der als normal erlebt wird, in dem die Spiele weiter gehen; die Normalität des Schreckens, die heute in den Texten in einer Lakonie der Sprache ihren Ausdruck findet. Der untrügliche Blick der Kriegskinder auf das, was ist — eingebrannte Bilder — und gleichzeitig die Imagination der eigenen Unzerstörbarkeit.
Aber Zeitzeugen sterben aus. Von den acht Autorinnen und Autoren, die in der Anthologie zu Wort kommen, sind es inzwischen nur noch vier Kriegskinder, die ihre Texte in einer öffentlichen Lesung zu Gehör bringen können. Die Erinnerungen der abwesenden und verstorbenen Zeitzeugen sind jedoch nicht verloren. Sie sind aufbewahrt und nachzulesen in dem Band ›Aus dem Gepäck der Kriegskinder‹, der 2015 in der Edition Falkenberg erschienen ist.