SoSe 2022 – „Von der Idee zum Plot“ – mit Angelika Sinn
In diesem Seminar haben die Studierenden Themen für einen Roman oder eine längere Erzählung gefunden, Ideen für Stories zusammengetragen, Schauplätze für ihre Geschichten kreiert, Protagonist*innen und Antagonist*innen entwickelt, sich über deren Ziele und Konflikte Gedanken gemacht und vieles mehr.
Eine Aufgabe war, den Anfang des Romans zu schreiben, die ersten Sätze, die neugierig machen sollen auf die jeweilige Geschichte, die noch im Werden ist.
Unten einige Beispiele.
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Manchmal fragte ich mich, ob mein Bruder nur ein sehr verschwommener Teil eines wirren Traums gewesen war. Ich meine die Art von Traum, an die man sich kurz nach dem Aufwachen kaum noch erinnert. Und je länger man versucht, sich den Traum wieder ins Gedächtnis zu rufen, desto mehr verschwimmen die bruchstückartigen Bilder mit der eigenen Fantasie. So war es auch mit meinen Erinnerungen an Elias. Ich sah noch die kindliche und unbeschwerte Version von ihm vor mir und auch den jugendlichen, leichtsinnigen Elias, der immer einen Witz parat hatte. Und gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass mir diese Erinnerungen von Jahr zu Jahr mehr entglitten. Je länger er verschwunden blieb, desto mehr verschwand er aus meinem Kopf. Doch was blieb, waren unzählige Fragen.
Im Zenit des Sommers fanden Rosa und ich fast täglich Bienen, die unbeholfen und ausgedörrt auf dem warmen, tonroten Steinboden der Wohnanlage des Altenheims lagen. Wir tränkten die verdurstenden Insekten mit Zuckerwasser, das wir zu Hause anrührten. Das war das Ritual des Sommers, und es fügte sich ein in das große Muster unserer Freundinnenschaft. Unsere Wege waren gesäumt von Hügeln und Schlössern. Wir beschritten diese Landschaften und blickten dabei auf unsere Schuhe, auf unsere Rücken und kleinere Dinge. In unsere Schritte legten wir Steine, die wir abwechselnd umdrehten und warfen und auf dem kleinen See beim Altenheim springen ließen.
Früher hatte Opa Hansi ihm immer Geschichten über heimtückische Irrlichter oder verrückte Teufelsscheuchen erzählt, heute dachte sich Johann seine eigenen aus. Mit jedem Spatenstich und jedem Sensenhieb wurden sie länger. So gut wie die seines Opas waren sie allerdings nie.
Sein Rücken gab ein verzweifeltes Knacken von sich, als flehte er, Johann solle endlich mit dieser stumpfsinnigen Arbeit aufhören, als flehte er um Gnade. Bald schon würde am ausgestreckten Horizont die Abendsonne alle Felder und Wege um sie herum golden anmalen. Sehnsüchtig blickte er in Richtung des Kahns, der in einiger Entfernung von ihnen vertäut lag. In routinierten, aufeinander abgestimmten Bewegungen trugen die drei Torfbauern einen Haufen Gräser nach dem anderen ab.
„Fangt an aufzuladen, es reicht für heute.“ Vaters Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Paul seufzte erleichtert auf und fing sogleich an, die Heuberge auf den Kahn zu hieven. Statt es ihm gleichzutun, rieb sich Johann den Schweiß von der Stirn und starrte auf seine verdreckten Schuhe. Jetzt würde der Spaß erst richtig beginnen.
Eli liegt in deren* Zimmer auf dem Bett. Das Handy klingelt. Dey geht ran.
„Hallo Nina.“
„Hi Eli, wie geht’s?“
„Naja geht so, langweilig halt. Und wie sieht‘s bei euch in Spanien aus?“
„Nicht schlecht, gestern waren wir am Strand und heute wollen wir das Einkaufszentrum auschecken.“
„Hört sich spannend an.“
„Ist es auch. Aber du musst auch mal was unternehmen, Eli. Du kannst doch nicht den ganzen Tag zu Hause rumsitzen und warten, bis die Uni anfängt. Wir haben unser Abi vor über einem Monat gemacht, du hast so viel Freizeit wie noch nie in deinem Leben, und was machst du damit?“
„Ich weiß eben nicht, was ich ohne dich unternehmen soll. Du bist meine beste und einzige Freundin und hast dich für drei Wochen ins Ausland verpisst.“
„Awww, ich vermisse dich auch.“
*Anmerkung des Autors: Die Hauptperson in diesem Text ist nicht-binär und verwendet die Neopronomen dey/denen/deren. Neopronomen sind künstliche geschlechtsneutrale Pronomen, die Personen verwenden, die sich mit den klassischen maskulinen oder femininen Pronomen (sie und er) nicht angesprochen oder wohl fühlen. Dey/denen/deren sind von den englischen Pronomen they/them abgeleitet und werden wie folgt benutzt: Nominativ und Akkusativ = dey, Dativ = denen, Genitiv = deren.
Als Theo klein gewesen war, hatte er den Duft von gebrannten Mandeln geliebt. Nach einem grauweißen Tag in klirrender Kälte war er zurück nach Hause gekommen, hatte seine tauben Füße an die Heizung gepresst und sich unter einem Meer aus Decken wohlig und warm gefühlt. Ganz klebrig waren seine kleinen Finger nach einer Tüte Mandeln gewesen. Er hatte sie in den Mund gesteckt, um noch das letzte bisschen Zucker schmecken zu können, und seine Mutter hatte geschimpft, weil er mit seinen Händen gerade erst aus dem schon gräulichen und dreckigen Schnee eine Kugel geformt hatte.
Heute fühlte er sich bei dem Geruch nach gebrannten Mandeln, vermischt mit Rauch und Glühweindunst, gar nicht wohlig und warm. Es war laut und dreckig und eng. Viel zu eng.
Er wischte sich das Blut von der Stirn. Achtunddreißig. So viele Leben hatte er jetzt schon beendet. Henry konnte nicht sagen, ob es mit der Zeit wirklich leichter wurde oder er sich einfach weniger Gedanken darüber machte, weil das Töten mittlerweile zu seinem Alltag gehörte. Tatsache war: Das Einzige, was er in diesem Moment spürte, war das klebrig-warme Blut, das ihm von der Stirn über die Wange zu laufen begann.
Angeekelt wischte er es mit seinem Einstecktuch ab und suchte dann seine Kleidung nach Blutflecken ab. Gehrock und Hose schienen zum Glück sauber geblieben zu sein. Der dunkle Wollstoff seiner Kleidung war kaum schmutz- und fleckenanfällig, weshalb er die Aufmachung an diesem Abend bewusst gewählt hatte.
Er warf das besudelte Tuch neben den leblosen Körper des Mannes mittleren Alters, der vor ihm auf dem Boden lag und zog dann den Behälter Brennspiritus heran. Während er die hochentzündliche Flüssigkeit auf der Abendgarderobe des Toten verteilte, drohte sich doch so etwas wie ein Gewissen bei ihm zu melden, das er aber mit Hilfe eines großen Schlucks Gin aus seinem Flachmann schnell wieder zurückdrängte.
Mit einem Segel wären sie schneller gewesen. Ada hätte gleich zu Beginn eines basteln sollen. Als alles noch offen gewesen war. Aber mittlerweile waren die Klamotten durchnässt. Ihr Schicksal war endgültig besiegelt worden, als sie Valentin das Ruder überlassen hatte. Er hatte sie innerhalb weniger Minuten in die Böschung gesteuert. Sie hätte damit rechnen müssen.
Ada hätte sich gern einen besseren Plan ausgedacht. Ein Laken mitgenommen und an einem der Paddel befestigt. Oder vielleicht sogar einen der Motoren aus dem Hafen geklaut. Aber sie waren überstürzt aufgebrochen. Und auch, wenn es sich anfangs wie ein Befreiungsschlag angefühlt hatte, wurde den Geschwistern mit jedem Tag klarer, wie wenig sie vorbereitet waren.
“Schon wieder zu spät!”
Fluchend schaut Tante Neea in den Rückspiegel und versucht, ihren tomatenroten Lippenstift aufzutragen.
“Du solltest auf die Straße gucken, wenn du fährst.” Neeas Schwester, Tante Alva, hält sich am Griff der Autotür fest. “Außerdem wären wir pünktlich, wenn du dich nicht verfahren hättest.”
Neea drückt auf das Gaspedal und ihr alter Renault hüpft bei Gelb über die Ampel.
“Du vergisst zu erwähnen, dass du nicht mehr wusstest, wo du die Autoschlüssel hingelegt hattest.”
“Du fährst diese Strecke jeden Tag, wer kann denn ahnen, dass du nicht in der Lage bist, in zwanzig Minuten den Weg zur Schule zu finden!”
Adje Werner sitzt mit seiner älteren Schwester Ida auf dem Rücksitz und versucht, den Streit der beiden zu ignorieren. Seit Tante Alvas Wagen seinen Geist aufgegeben hat, sind die Schulfahrten jeden Morgen der pure Horror.
“Adje, sei ein Schatz und sag mir nur noch einmal kurz, wo wir lang müssen.”
Adje sieht Tante Neea im Rückspiegel mit den Wimpern klimpern. Er seufzt.