Literarischer Kulturaustausch bei der globale° 2024 – mit Angelika Sinn
"...trotz dieser Welt"
Anfang November 2024 war der Literarische Kulturaustausch zu Gast auf der globale°. In dieser außerordentlichen Schreibwerkstatt befassten sich Autor*innen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturkreisen mit dem Thema des diesjährigen Literaturfestivals: "...trotz dieser Welt".
Entstanden sind sind Gedichte und kurze Prosastücke, in denen aus ganz persönlicher Sicht beschrieben wird, wie das Leben trotz Krisen und Konflikten bewältigt werden, was einer Welt im Umbruch entgegengesetzt werden kann.
Infos zur aktuellen Schreibwerkstatt und Anmeldung hier
Mehr Texte aus dem "Literarischen Kulturaustausch" gibt es HIER
Trotz dieser Welt…
…bin ich in dieser Welt
Manchmal möchte ich woanders sein.
Manchmal möchte ich mich schützen.
Manchmal möchte ich eine Lösung wissen.
Manchmal möchte ich nicht mehr nachdenken.
Manchmal möchte ich eine schillernde Seifenblase sein und am sonnigen Herbsthimmel treiben.
Ein Kindermund hat mich erschaffen.
Die bunten Geschwister begleiten mich.
Weithin sichtbar bereiten wir Freude.
Die Dauer unseres Lebens lässt sich nur in der Intensität seiner Farben messen.
Trotz dieser Welt…
…bestelle ich immer noch nichts bei Amazon
es rennen paketboten
wie um ihr leben ohne halt -
um ihr gehalt zu bekommen
dann andere sendungen
in denen dinge
sich befinden die schein
bar anderen menschen halt
geben mit warmer hand
gibt hier niemand bar
bezahlen auch nicht: pay
pal rechnet mit rendite
amazon fliegt auf den mond
und nicht mal mehr die deutsche bank
zahlt aus in bar
aus und vorbei
also renn - dein home run
ausgeliefert
der auslieferung
Trotz dieser Welt…
…sind wir immer noch hier
Die Umarmung der Neugeborenen
Trotz dieser Welt
bauen wir weiter Chaos auf
trotzdem
sind wir immer noch hier.
Gütig und gewalttätig
bewegen wir uns
zart und brutal.
Wir kochen leckere
aber giftige Gerichte
und genießen sie!
Trotz des Krebses.
Während der Geist des Lebens
gegen den Geist des Todes
um die Umarmung der Neugeborenen kämpft.
So war es von Anfang an
vielleicht
so ist es immer noch
ganz sicher.
Wir sind so alt wie unsere Angst
und trotz der Ungewissheit dieser Welt
bauen wir weiter ein wunderschönes Chaos auf.
Trotz dieser Welt…
…verliere ich die Hoffnung nicht
Friedenstaube, flieg! Flieg in den Himmel, über das Meer, über Berge, Städte und Dörfer.
Begrüße alle Menschen tausendmal, sähe Samen der Gerechtigkeit und der Gleichheit aus, damit jeder Mensch Frieden ernten kann, überall.
In der Welt soll es Freude geben.
Menschlichkeit und Würde sind viel stärker als Wut und Hass.
Trotz dieser Welt…
…geht der Hase in die Nacht hinaus
in die Welt hinauszugehen, erfordert Mut und drei tiefe Atemzüge
in die Welt hinauszugehen und den harten Boden aus Beton und Schotter zu treffen
in die Welt hinauszugehen und Lügen in den Gesichtern zu finden
in die Welt hinauszugehen und die Welt zu treffen
und ich gehe hinaus, atme dreimal tief durch
fülle mich mit Mut und natürlichem Zucker
behalte das Süße in meinen Worten und Texten
komme mit der Rüstung aus Baumwolle und Fäden
mit meinem Notizbuch, meinem Bleistift, Worten und Fantasie
ich gehe tagsüber hinaus, ich kenne das Licht
kenne den Schatten und die Kreaturen in ihrem Kampf
sehe die Enten auf dem Gartenteich schwimmen, ahnungslos
mit Begeisterung und Kraft ging ich in die Welt hinaus
einmal, zweimal, dreimal und viele Male mehr, tief atmend
ich komme hinaus, seufze und stelle mich der Welt
mit ihren Ecken voll Horrorgeschichten
mit ihren Maskenbällen auf den Fluren der Büros
und dem Misstrauen, das vielen Menschen das Knopfloch stickt
du kannst nicht vertrauen, du kannst der Welt deine Hände nicht reichen
du kannst der falschen Welt nicht in die Augen sehen
aber
aber
aber trotz dieser Welt
konnte ich den Hasen beobachten, der nachts in den Garten kommt
Trotz dieser Welt…
…werde ich den Weg weitergehen
Trotz dieser Welt werde ich meine Sorgen auf dem Rücken tragen, geduldig und mit erhobenem Kopf den Träumen entgegengehen.
Trotz des Beharrens dieser Welt darauf, uns auszuschließen und mit jedem Schritt ins Unbekannte zu drängen, werde ich den Weg weitergehen, nach Leben dürstend.
Meine Nahrung ein Laib Brot und die Reste der Erinnerungen und die Freude der Kindheit, die noch immer in meinem Herz verborgen ist.
Trotz dieser Welt werde ich weiterschreiten, meine Melodie auf der Laute spielend, mit dem Gesang meiner Seele.
Trotz dieser dunkeln Welt werde ich des Leben weiterführen, denn in meinem Herzen ist ein Licht, das meinen Weg erhellt, auch wenn es finster wird .
Trotz dieser kalten Welt werde ich weiterhin nach einem Ort auf diesem Planeten suchen, an dem wir eine Heimat für Frieden und Liebe errichten können.
Trotz dieser Welt…
…lächele ich jeden Tag
Trotz dieser Welt schenke ich anderen mein Lächeln. Wir stehen jeden Tag auf und müssen ums Überleben kämpfen. Aber warum machen wir es nicht auf unsere Art und Weise, damit unser Lebensweg schöner wird? Denn trotz dieser Welt sind wir frei.
Wir haben unsere Gedankenfreiheit, die niemand einschränken kann. Wir haben die Freiheit, uns alles, was wir möchten, vorzustellen. Kann sich nicht jeder von uns, während er in seinem Zimmer sitzt, vorstellen, er wäre am Meer?
Wir haben die Freiheit zu träumen. Wir haben die Freiheit auf unsere eigene Weise zu kämpfen. Ja, wir haben auch ständig die Freiheit, zu lächeln. Und deswegen sage ich:
Trotz dieser Welt lächele ich jeden Tag.
Trotz dieser Welt…
...tanzen wir zum Glück
Seit vielen, vielen, vielen Jahren tanzt sie durch die Welt, tanzt sie in dieser Welt, tanzt sie in anderen Welten.
Sie tanzt…
Es fing alles auf dem Rasen ihrer Mutter an.
Sie tanzte sich zum Glück und nahm ihre weinende Mutter mit.
Sie fühlte sich allein, weil sie allein war.
Sie ging dorthin, wo andere tanzten, doch sie ging nach kurzer Zeit weiter.
Zu denen die anders tanzten und sangen.
Sie lernte in verschiedenen Schulen tanzen und singen, sie lernte und erlebte, dass hier und da „trotz dieser Welt“ anders getanzt wird.
Sie wanderte tanzend in diesen Welten, in verschiedenen Welten.
Eines Tages kamen sie am Ende der großen Wanderung an!
Doch sie tanzten immer noch weiter, anders.
Trotz dieser Welt…
…war es unsere Erde
„Wie war es auf der Erde, Mami?“
Eines Tages, wenn er sprechen kann, wird er das fragen.
Unser Schiff hebt vom Boden ab. Mein kleiner Junge schläft sicher und geborgen auf meiner Brust, während ich aus dem Fenster schaue. Die Stadt, die ich einst mein Zuhause nannte, liegt unter dem Abendhimmel. Als ich jung war, habe ich dieses Bild immer von einem hohen Riesenrad aus gesehen. Diesmal aber wird die Kabine nie wieder herunterfahren.
Ich erkenne die majestätische Kathedrale, die zwar schwer beschädigt ist, aber immer noch stolz inmitten der in Schutt und Asche liegenden Stadt steht. Hier und da sind noch kleine Brände zu sehen. Das ist es, was von der Welt übriggeblieben ist.
Das Schiff schwebt langsam und nicht allzu hoch über der Stadt, als wolle es uns eine letzte Chance geben, uns zu verabschieden. Als ich noch einmal auf meine Heimatstraße schaue, glaube ich, eine Bewegung auszumachen. Ein Hirsch, nein, zwei dieser Tiere, eine Mutter mit ihrem Kind, so scheint es. Sie gehen die leere Straße entlang, auf der wir früher unterwegs waren.
„Wie war es auf der Erde, Mami?“
Eines Tages wird er das fragen.
„Sie gehörte uns“, werde ich antworten.
Trotz dieser Welt…
…wachsen Blumen auf den Gräbern
…spüre ich die Frische der Gräser unter meinen Füßen.
Verstehen kann man es nicht, nicht begreifen.
Nur fühlen und erwachen
aus vermeintlichen Alpträumen,
hinein in die leuchtenden
Visionen, die erblühen
aus und in dem Schmerz,
in die Farben der Freude und Fülle.
Das Kind, das das goldrote Ahornblatt bestaunt.
Der Hund, der freudig in den Blätterhaufen springt.
Ich lache und Es lacht schallend zurück.
Trotz dieser Welt keimt die Hoffnung, das Unerwartete,
in Abschieden, die ich kenne.
Und ich freue mich auf das Unbekannte.