Ausschnitt von einem Arbeitstisch aus einer Schreibwerkstatt

Werkstatt-Texte

Literarischer Kulturaustausch 2023 – mit Angelika Sinn

Klimawandel

Da uns allen das Thema unter den Nägeln brennt, haben wir uns beim Literarischen Kulturaustausch ein Jahr lang schreibend mit dem Klimawandel und seinen Auswirkungen beschäftigt. Hierbei wurden die vier Elemente Feuer, Erde, Wasser und Luft jeweils zum Mittelpunkt unserer Überlegungen und Texte.

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Mehr Texte aus dem ›Literarischen Kulturaustausch 2022‹ gibt es HIER

Mutter Erde

Ich schwimme in braunem Wasser
Wasser voller Giftstoffe
Dreck und Traurigkeit.
Im Wasser von Mutter Erde.
Sie leidet
sie verwelkt und verblüht.
Wurzelwerk, das mal ein Kunstwerk war
verwickelt sich.
Auch ich verwickle mich 
in meinen Gedanken 
und meine Gedanken 
wickeln sich um mich herum. 
Sie ziehen mich hinunter
hinunter in das braune Wasser 
das Wasser von Mutter Erde.

Eshal Zahirul 


Schlammschlagen

Körnchen rieseln durch die Schwielen seiner Finger, begraben seine Vision unter einer Schicht aus Dreck. 
Mutterboden, weich wie Mehl nach vielen Malen Sieben, wenn er einen Krümelkuchen buk. Mit den Händen ein Häufchen schaufelte, eine Kuhle hineindrückte, Wasser hinzugab, um einen Teig zu kneten. Einen Boden zu bereiten für die Früchte, die sie geerntet hatte, einen Kuchen in der Küche ohne Kinder. Er hatte keine gewollt, zu groß die Angst, sie könnten leiden in den Krisen und Katastrophen. Im hitzig-kalten Klima mit Wetter ohne Bestand.
Sie hatte gewollt, gebeten und war am Frust verhärtet, bis kein Spross mehr durch den Boden drang, auf dem sie standen. Die eigene Erde, einst Verheißung nährender Zukunft, wurde von rinnendem Zweifel vergiftet. Gemeinsam hatten sie zertreten, was noch wuchs: Ein Trampeltanz, bis Balken brannten wie Brücken. Sie floh, sie rannte. 
Keine Aussicht auf Zuversicht, kein Regen und dann Fluten.
Schlammschlagen. Eine gelbe Gummihose, Kinderstiefel angeschweißt, Patschehände graben sich in den Matsch. Ein kleiner Mund verzieht sich zu einem Schlund, Lippen spitzen, um zu schmecken, eine Zunge, bereit zu schlecken - er hätte es verbieten müssen. Untersagen, wie diese Bilder, die sich ungebeten in sein Bewusstsein schieben. Verbannt in die Verwüstung, über die sich seine Gedanken verloren haben. 
Was könnte hier noch gedeihen? Unkraut, wie er eins geworden ist, verwildert, verwachsen, nicht schön anzusehen, aber immer noch da. 
Er verschränkt die verwitterten Hände, saugt den Schmerz in seine Lungen, um noch einmal zu spüren, weich zu werden wie Mehl, fein wie die Körner der Erde. Traurigkeit legt sich um seinen Atem wie ein Nebel, dessen Feuchtigkeit die Risse des Leids glättet. Er stößt ihn aus zu kleinen Wölkchen. 
Was gewesen, soll verwesen, Zeit wird kompostieren, transformieren, und er wird nicht darauf warten. „Gehen!“, befiehlt er sich, in einen Abend hinein, in dem Schatten verwehen, getrieben vom Hunger auf Krümelkuchen. 

Ronja Gronemeyer 


Tänze

Ich habe es bis jetzt nicht geschafft
mit der Erde richtig zu kommunizieren.
Deswegen vielleicht 
kommuniziert die Erde auch nicht herzlich mit mir. 
Bienen kommunizieren 
durch einen Schwänzeltanz mit anderen Bienen.
Ich habe solche Tänze nicht gelernt.
CO2 tanzt auf der Autobahn
Feuer tanzt im Sommer durch die Wälder
Schneeflocken tanzen im Winter
und fallen auf meine Schulter.
So etwas habe ich erlebt.
Ich habe aber noch nicht erlebt
dass auch die Erde tanzt
um mit mir zu kommunizieren.
Doch ich habe es 
so oft
so sehr
gehofft.

Zahirul Islam Babul 

Feurige Erscheinung

Du hast eine magische Kraft.
Seit Tausenden von Jahren ziehst du alle Blicke in deine faszinierende Welt hinein.
Du, ein chemischer Prozess, bestehend aus Brennstoff, Hitze und Sauerstoff. 
Und keiner, wirklich keiner kann deiner Erscheinung widerstehen.
Wärst du auf Instagramm, würdest du Milliarden Follower gewinnen.

Und du bist immer da.
Deine Wärme hüllt mich ein, schenkt mir Ruhe, Geborgenheit und Hoffnung.
Ohne dich ist meine Wohnung leer und verlassen.
Ohne dich bin ich einsam und verloren.
Du bist freundlich und wichtig – aber nicht nur.

Denn keiner darf vergessen:
Du bist auch ein Richtschwert für uns.

Gulsara Arsanova


Hinter Glas

Das Feuer des Lebens spendet Hilfe beim Aufbruch des Eukalyptussamens.
Die einstmals absichtsvoll gelegten Brände sind inzwischen außer Kontrolle geraten.
Der Monitor des Fernsehers bietet einen Schutzschirm vor unmittelbarer Gefahr, aber das Auge nimmt die Bilder wahr, sieht hindurch und erkennt sowohl panische Angst als auch organisierte Flucht.
Du bleibst im Fernsehsessel sitzen, wohin solltest du auch gehen?
Das Feuer erscheint dir wie ein unmenschlicher, großer Geist, der respektiert und gebändigt werden will.
Vor dir eine Naturgewalt im Aschenbecher, wie absurd.
Du sendest einsame Rauchzeichen in die Welt.
Sind Gebete Ablenkung oder Hilfe beim Zwiegespräch mit dir selbst?
Wo helfen sie? 
Vielleicht im Fernsehsessel oder am Altar.
In den Flammen hinter der Monitorscheibe gibt es kein Entrinnen.
Löschflugzeuge arbeiten gegen infernalische Gluthitze.
Vielleicht hilft beten. 
Davor oder danach?
Meine Worte begleiten dich in Gedanken, als du ins Feuer gehst.
Vielleicht kommst du wieder.

Brigitte Japp 


Feuer

Feuer ist heilig
Über das Feuer springen
Und 
Lachen
Schau die Flamme an
Sie ist nur klein
Wieder 
Über das Feuer springen
Und 
Tanzen 
Nur eine Flamme
Kein Rauch
Zur Sommerzeit liegt ein Vogel
Im Felde
Unter Eis
Niemand behält die Worte 
Wir alle sind den Menschen etwas schuldig
Und
Schuldige Menschen
Die Welt verbrennt

Salman Nurhak 


Das Feuer

Du, oh Wald, der sich in Funken, Glut und Flammen auflöst
dann in Stille und Rauch, der sich verliert
Not, menschliche Dummheit, Egoismus, verzweifelte Schreie.
Die Äste sehen zu, wie sie sich mit verstohlenem Rumpeln entwirren
Und, oh Natur, du fragst dich, ob du Schatten, Lunge, Grün genug gegeben hast
Gezwungen, die Wege der Vernichtung zu kennen
kam das Feuer, um zu brennen
und mit seinen Flammen zu verschlingen,
hat dich zum Gebiet der Finsternis gemacht
Rauch und Asche werden nicht verschont
Nicht durch Vernunft, nicht durch Wahrheit
- so ein Holz, das in einem verlassenen Raum oder in einer Höhle brennt, wo nur falsche Absichten wohnen. Dort, wo der Teufel wohnt.

Ernesto Salazar-Jiménez 

Meine Flüsse

Ich habe noch die Adern der Erde, die blauen Flüsse auf dem Weg zum Meer, die vielen Kilometer Flusslauf vor Augen. 

Schon als Mädchen kannte ich die Flüsse meiner Region, den Tolten, Cautin, Cholchol. Sie alle kamen aus den Anden Kordillere, und ihre Wege waren weit. Sie führten durch die Gesteine der Berge, durch Urwälder und ruhige Täler bis zur gewaltigen Mündung ins Meer. 
Auf der Suche nach ihren Wegen hatten die Flüsse etwas Verspieltes, änderten ihre Namen, wurden von kleinen Bächen zu reißenden Strömen, nahmen andere Flüsse mit, flossen mit ihnen weiter. Sie hinterließen fruchtbaren Boden, auf dem Getreide, Gemüse und Obstbäume prächtig gediehen. Im Frühling leuchtete an den Ufern das frische Grün der Trauerweiden, und die Wiesen waren mit gelben und rosafarbenen Blumen gesprenkelt. An der Mündung zum Pazifik hatten die Flüsse eine enorme Größe erreicht und konnten sich in Ruhe ausbreiten. An ihren Ufern gab es die schönsten Strände meiner Kindheit. Erst dort, wo die Flüsse auf die Wellen des Meeres und seine Unterströmungen trafen, wurde es gefährlich. 

Als ich meine Flüsse in späteren Jahren noch einmal besuche, sind sie nicht mehr zu erkennen. Sie tragen wenig Wasser, die Urwälder sind durch Brände zerstört, und an den Ufern, an denen die Trauerweiden stehen, tanzen die Plastiktüten auf trockenem Boden.

Rosa Jaisli 


Wasser

Sie stieg aus dem Meer. Das Wasser perlte aus ihren Haaren, die Sonne schien und trocknete die letzten Tropfen auf ihrer Haut. Sie strecke sich und lächelte der Sonne entgegen. Es war ein Tag, wie sie ihn liebte. Sie lauschte den Wellen, liebte diese Melodie, die das Meer jeden Tag anders spielte. Weiter draußen brachen sich die Wellen donnernd an den Felsen. 
Sie ließ sich langsam im Sand nieder und hörte dem Meer zu, hörte in sich hinein. Wie würde es ihr ohne das tägliche Schwimmen gehen? Nicht besonders gut, dachte sie. Das Salz auf ihrer Haut kitzelte. Sie war durstig und griff zur Wasserflasche, gefüllt mit reinem Trinkwasser. Ihre Gedanken schweiften ab. Was wäre, wenn es kein Trinkwasser mehr gäbe, die Brunnen ausgetrocknet wären, das Land dürr? 
Die Schönheit des Tages bekam plötzlich einen Schatten. Entsetzen zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. Das wäre das Ende allen Lebens, denn ohne Wasser könnte kein Lebewesen existieren. Wissen die Wasserräuber dies nicht, fragte sie sich, die, die Quellen enteignen für ihren eigenen Profit. Ist es ihnen gleichgültig, was mit Mensch und Tier geschieht? 
Schauer liefen ihr den Rücken hinunter. Hatte es sich abgekühlt? War die Sonne verschwunden? Nichts von all dem. Allein die Gedanken an das Klima und die Natur reichten aus, sie frösteln und erstarren zu lassen. Die heitere Gelassenheit, die gerade noch ihr Herz mit Dankbarkeit geflutet hatte, war verschwunden. Was kann ich tun, fragte sie sich, als Bilder von Gletscherschmelze, Hochwasser und Dürre vor ihrem inneren Auge abliefen, und nach einer Weile entschied sie, von nun an alles zu tun, was nur möglich war, um die Welt und alles Leben zu erhalten. Aber vorher wollte sie noch eine Runde schwimmen. 

Ulrike Wendt


Oberflächlich

Etwa siebzig Prozent der Erdoberfläche ist von Wasser bedeckt und interessanterweise besteht der menschliche Körper zu durchschnittlich siebzig Prozent aus Wasser.
Wasser ist die Quelle des Lebens, aber eine große Menge davon kann zum Tod führen. Denn leider bleibt das Gleichgewicht der Natur nicht immer erhalten. In einigen Gebieten leiden die Menschen unter Wassermangel, in anderen Regionen an Wasserüberfluss, dort verursacht der steigende Meeresspiegel Überschwemmungen.
Ich weiß nicht viel über Geologie, weiß zum Beispiel nicht, wie viel Süßwasser unter der Erdoberfläche gespeichert ist oder welche Auswirkungen die Variabilität des Erdmagnetpols auf die Niederschlagmenge hat. Ich bin mir aber sicher, dass Mutter Erde sich nicht um das Schicksal der Menschheit kümmert, sondern dass die Menschen sich selbst darum kümmern und eine vernünftige Lösung für die aufgetretenen Probleme finden müssen – sonst spuckt uns die Erde gnadenlos aus und schließlich wird dieser arrogante Mensch auf dem Müllhaufen der Geschichte dieser Erde landen. 

Ssaber 43 (Saber Latifi) 

Ein. Aus.

Ich wache auf, fühle den Druck auf meiner Luftröhre, keuche. Kann jetzt schon seit Tagen nicht mehr richtig atmen. Habe seit einem Monat meine Wohnung nicht verlassen und alle eingegangenen Nachrichten ignoriert. Die Fenster sind zu. Ich habe keine Lust, sie zu öffnen, keine Lust auf irgendetwas. Ich liege hier und schöpfe keine Luft. 
Es gibt immer etwas, das man erst dann wertschätzen kann, wenn es fort ist. Freies Atmen. Sowie blinzeln oder gehen – unbewusste Handlungen, die man nicht mehr natürlich ausüben kann, wenn man sich darauf konzentriert. Manchmal schalte ich meine Aufmerksamkeit ein und aus und merke dabei, wie mein Körper nicht mehr normal atmen kann, wenn ich ihn beobachte. Mein Unbewusstes bekommt Lampenfieber. Je mehr ich versuche, natürlich zu atmen, umso gezwungener wird es. 
Als Kind habe ich einmal in einem Magazin eine Geschichte gelesen, von der ich seitdem nicht mehr loskomme. Es ging darin um ein Kind mit einer akuten Schlafapnoe. Im Schlaf konnte es nicht atmen. Der Körper vergaß einfach, die Lunge zu aktivieren, wenn das Gehirn es nicht bewusst tat. Diese Idee erfüllte mich mit Grauen. Ich lag jede Nacht still im Bett und versuchte zu schlafen, nahm aber die ganze Zeit den Rhythmus meines Atems wahr. Wenn ich nicht aufpasste, dachte ich, würde mein Körper aufhören zu atmen und ich würde keinen Kontakt mehr zur Außenwelt haben – keine Aufnahme von Luft, kein Austausch von Sauerstoff und Kohlendioxid in meinem Schlafzimmer. Ich wäre so still, dass ich nicht mehr leben könnte. Das war etwas, das ich damals intuitiv verstand: Wenn man nur in sich selbst bleibt und nichts akzeptiert, nichts annimmt, dann ist das auch kein Leben mehr.

Anna Tjeltveit


Sei ruhig

Beim Sprechen sei ruhig 
Beim Schweigen sei ruhig 
Beim Träumen sei ruhig. 

Im Exil hast du nur deinen Traum 
Und eine Heimat, die du unter 
Der Haut versteckt trägst. 

Zünde deine Leuchte an und baue 
Aus deinem Bett eine Leiter. 
Öffne deine Fenster 
Der Himmel ist klar 
Wie ein Gedicht. 
Die Luft ist für uns alle da 
Lass die Luft strömen. 

Die Traumtür ist geöffnet. 
Lass uns mit dem Leben weitermachen. 
Egal, wer du bist. 
Wer? Woher? Wohin? 
Vergiss es. 
Vergiss nicht, ein Mensch zu sein.

Ein anderer ist 
Höher – niedriger 
Besser – schlechter 
Krank – gesund. 
Vergiss es. 

Egal, wer du bist 
Vergiss es.
Vergiss nicht 
Dass du ein Mensch bist. 

Sei ruhig. 
Sei ruhig. 

Farhan Hebbo