Bremen ist Hafenstadt. Doch wer sind die Menschen aus verschiedenen Herkunftsländern, Kulturen und Sprachräumen, die auf den Weltmeeren unterwegs sind, um unsere Versorgung sicherzustellen? Für ihr Projekt war die Autorin Betty Kolodzy gemeinsam mit der Crew der Bremer Seemannsmission auf den Schiffen, die in den Bremer Häfen vor Anker liegen, um die Geschichten der Seeleute an Land zu ziehen. Sie erzählen von ihrer Arbeit, dem Leben an Bord, von ihren Familien und Heimatländern.
Die gelernte Fremdsprachenkorrespondentin, Kommunikationswirtin und ehemalige Münchnerin lebt heute, nach Stationen in Berlin, Marseille, London und Granada als freie Autorin in Bremen. Sie leitet Schreibworkshops für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, begleitete 2016 den Bremer Schulhausroman des Literaturhauses Bremen. 2016 initiierte sie das Schreibprojekt Heimat:Sprache für Menschen mit Fluchthintergrund. Infolge der Corona-Krise rief sie gemeinsam mit dem Bremer Literaturkontor den Briefaustausch Nähe in Zeiten von Distanz ins Leben.
Nautischer Offizier
Nachts auf der Kommandobrücke / Ansteuerung Hong Kong I
Noch 24 Stunden bis Einlaufen Hongkong. Ich liebe diese Stadt, diesen Hafen, die Ansteuerung jedoch ist eine einzige navigatorische Herausforderung. Ringsum Lichter: Lichter von Schiffen, Fischerbooten, Leuchtfeuern, Fahrwassertonnen ...
Wie komme ich nur durch dieses Gewusel? Auf dem Radarschirm wimmelt es von Echos, kaum zu unterscheiden. Zudem dunkle Schatten: Fischerboote ohne Beleuchtung. Das Ganze hat ein bisschen was von einem Albtraum.
Was um Himmelswillen ist das für ein dunkles Etwas vorne, am Bug, Steuerbord? Der ist doch keine 100 m entfernt! Zu spät zum Ausweichen. Verschwunden vor dem Bug, das geht nicht klar, da ist Nichts, was ich noch tun kann - nur hoffen, auf das Wunder, dass es irgendwie noch gut geht. Der Ausguck in der Nock, hat er ihn überhaupt gesehen? "No, Sir, I didn't see a thing, sorry"... Uff, Schweißperlen, schreckliche Bilder rasen bruchstückhaft durch den Kopf: Habe ich ihn jetzt überrannt? Banges Warten, die Sekunden ticken - jede einzelne eine Ewigkeit... War das Alles nur Einbildung, Gespenster?
Da: ein kaum wahrnehmbarer Schein, ein kurzes Aufflackern, schemenhaft, jetzt an Backbordseite. Wüstes Geschrei und Gejohle dringen nach oben zu mir auf die Brücke, erhobene Fäuste sind im roten Schein des Backbord Positionslichtes zu erkennen, als das unerleuchtete Fischerboot - noch nicht einmal - in 5 Meter Entfernung an der Bordwand vorbei dümpelt, nein: vorbeirauscht, immerhin fahren wir mit 18 Knoten. Unendliche Erleichterung. Das war mehr als knapp. Hier herrscht die unglückselige Praktik des "Geister Abhängens" : indem versucht wird, so dicht wie möglich den Bug eines Schiffes zu kreuzen, um imaginäre, verfolgende Geister "abzuschneiden".
Nautiker stehen mit einem Bein immer vor dem Richter, im Gefängnis...
Ich heiße Ervin und komme von den Philippinen. Seit drei Jahren bin ich als Seemann auf den Weltmeeren unterwegs.
Wann in mir die Idee aufkam, Seemann zu werden?
Schon als kleiner Junge, war es mein großer Traum, eines Tages auf den Weltmeeren unterwegs zu sein, denn ich traf viele Seefahrer in meiner Heimat, in der Provinz Ilo auf den Philippinen.
Als ich ihre großen Häuser sah, ihre Autos und als sie erzählten, dass sie die ganze Welt bereisten und was sie alles sahen, klang das sehr interessant.
Doch in Wahrheit ist es ein sehr schwieriger Job: Jeden Tag verbringst du am gleichen Ort. Und du siehst jeden Tag die gleichen Gesichter.
Normalerweise bin ich neun Monate auf diesem Schiff. Manchmal gibt es keinen Crewwechsel, dann bleiben wir elf Monate an Bord …
Die letzten drei Monate werden immer schwieriger, dann spüre ich, wie mir langweilig wird, weil jeden Tag das Gleiche passiert.
Es gibt nichts Neues.
Und das Allerschlimmste ist, dass ich meine Familie vermisse.
Auf diesem Schiff können wir nur über SMS oder Chat in Kontakt sein. Es gibt keine Video-Calls. Nur wenn wir, wie jetzt, im Hafen liegen, können wir kommunizieren.
Dann sehe ich meine Frau und meinen kleinen einjährigen Sohn. Leider kann ich nicht beobachten, wie er laufen oder sprechen lernt. Und ich weiß nicht einmal, ob er mich erkennen wird, wenn ich wieder zurück sein werde. Als ich ging, war er ein Baby.
Wir haben nur begrenzte Informationen. Es gibt einen Zeitunterschied zwischen unseren Ländern, der die Kommunikation verhindert: Wenn wir Pause haben, schlafen die Menschen in unserer Heimat, denn dann ist es dort Nacht.
Ich wünsche meiner Familie viel Gesundheit und ein gutes Leben.
Ich habe immer noch denselben Traum wie früher: Den eines guten Lebens. Denn ich stamme aus einer sehr armen Familie.
Mein Name ist John.
Mein Tattoo ist meinem Land gewidmet: Die Flagge der Philippinen. Außerdem ein Pirat mit Kochmütze und eine große Gabel. Das Tattoo soll die Narbe auf meinem Oberarm kaschieren. Vor vielen Jahren verlor ich bei hohem Seegang die Balance und schnitt mich mit einem großen Küchenmesser.
Ich arbeite seit meinem 16. Lebensjahr. Ich habe schon in vielen Ländern gearbeitet, zum Beispiel in Katar als Ober in einem Restaurant. Zurzeit recherchiere ich im Internet. Ich möchte Geld investieren, um eines Tages ein Restaurant zu eröffnen.
Das Leben als Koch auf See ist sehr speziell: Du hast keinen Tag frei, nie Pause. Denn die Seefahrer essen jeden Tag. Während der Pandemie, als wir über einen Zeitraum von fast 18 Monaten nirgends anlegen durften, gingen uns die Lebensmittel aus. Es war wirklich dramatisch. Wir angelten Fische, um zu überleben.
Ein ganz besonderes Essen ist für uns alle die Barbecue-Party. Dann sitzen wir gemeinsam um das Feuer und genießen die Atmosphäre an Land.
Der Blick von außen: Wir können umsonst die Welt bereisen. Das klingt ziemlich cool. Doch es ist ein äußerst anstrengender Job. Besonders während der Pandemie, als wir teilweise 18 Monate nicht von Bord durften. Wir konnten nur draußen an Deck zwischendurch Luft schnappen.
Feiertage haben wir keine. Jeder Tag ist ein Werktag. Sieben Tage die Woche acht Stunden, montags sogar zehn.
Das Geld schicken wir nach Hause zu unseren Familien, die so weit weg sind. Meine kleine Tochter ist vier Jahre alt. Sie heißt Sophia.
Manchmal werden wir fast krank vor lauter Sehnsucht nach unseren Familien.
Das Leben an Bord kann sehr eintönig sein. Nicht auf allen Schiffen gibt es unlimitierten Zugang zu W-Lan. Dann brauchst du andere Dinge, um dich abzulenken.
Ich liebe das Tanzen und arrangiere gerne Choreografien zu amerikanischen Songs.
Wenn wir verrückt werden hier an Bord, dann trommele ich ein paar Jungs zusammen und wir tanzen. Das ist eine gute Methode, um unsere Gefühle auszudrücken, Stress abzubauen und die Probleme zu vergessen.
Inzwischen habe ich 1800 Followers auf Facebook und über 800 auf Instagram. So sind wir in Kontakt mit Menschen aus aller Welt.
Schiffsname: „Seatrout“
Schifftyp: Tanker
Heimathafen: Bremen
Flagge: deutsch
Besatzung: 18 Seeleute aus Deutschland, der Ukraine, Russland und den Philippinen
Ankunft im Ölhafen: am 13. Juli 2022
Windstille
leichter Dunst über einer glasklaren spiegelglatten See
schwüle Hitze, 29 Grad
Sichtweite: 5 Seemeilen
Seit zehn Jahren arbeite ich als Schiffsmechaniker. Weil ich in der Ukraine sehr wenig verdiene, bin ich seit einigen Jahren als Seemann unterwegs.
Nun brach der Krieg aus und auf meine Heimatstadt fielen Bomben. Meine Frau und meine Kinder konnten flüchten. Meine Großmutter nicht, weil ihr Bein von einer Granate getroffen wurde und amputiert werden musste.
Ich spreche jeden Tag mit meiner Familie, aber ich kann nichts für sie tun, weil ich meinen Vertrag erfüllen muss. Sobald ich aufwache, schaue ich auf mein Handy, welche Nachrichten mich nun erreichen.
Ich sehe Videos aus der Heimat: Videos von Passanten, die getötet auf Bürgersteigen liegen.
Ich mache mir große Sorgen um meine Familie. Auch an ihrem Fluchtort hören sie die Einschüsse der Bomben und Raketen.
Gibt es hier in der Bremer Seemannsmission auch ein Klavier? Seit meiner Schulzeit spiele ich Klavier.
Vor einigen Jahren war ich drei Jahre lang in Brake als Seemann unter Vertrag. Wir fuhren auf der Nordsee, nach Portugal, Spanien … wir transportierten Stahl und Waschbecken. Wenn ich nach Bremen komme, freue ich mich immer, weil ich dann mein Deutsch trainieren kann, das ich in Brake während meiner Arbeit gelernt habe.
Dort konnte ich übrigens Klavier spielen. Ich muss üben, damit ich es nicht vergesse.
Ich spiele Pop und klassische Musik. Chopin ist mein Lieblingskomponist.
Ich mag Musik sehr. Am liebsten höre ich russische und ukrainische Musik, zum Beispiel Skryabin, Zoy oder Zemfira.
Es ist ein sehr schönes Gefühl, hier in der Bremer Seemannsmission diesen Billardtisch zu entdecken. Wenn man zusammen mit seinen Kollegen spielen und sich für eine halbe Stunde oder länger eine nette Zeit machen kann.
Sorry, aber diesen Haarschnitt hat mir der 1. Offizier verpasst! Mit einer Schere!!! Warum hat er keine Haarschneidemaschine benutzt? Bis die Löcher herauswachsen, werden mindestens vier Wochen vergehen.
Dort hinten steht der Schuft und grinst ...
Er selber wartet lieber acht Monate, bis er zu Hause zum Friseur gehen kann. Während der Pandemie, als wir 18 Monate nicht von Bord kamen, sah er wie ein verlotterter Seebär aus!
Wir transportieren Eisenerzschlamm, aus dem Stahl produziert wird. Wir kommen aus Narvik in Norwegen. Für eine Tour sind wir zwei bis vier, manchmal fünf Tage unterwegs.
Unsere Mannschaft stammt aus unterschiedlichen Ländern, die meisten aus Thailand oder Indien: Ich zum Beispiel flog am 15. Mai von New Dehli nach Mumbai, von Mumbai nach Dubai – und dann von Dubai weiter nach Norwegen. Von Narvik ging es weiter zu unserem Quartier in Norwegen. Insgesamt bin ich zweieinhalb Tage unterwegs zu meinem Arbeitsplatz.
An Bord sind wir 27 Personen. Wir haben zwei Köche, die Versorgung kommt aus den Niederlanden. Der Kapitän und der Chief-Officer bleiben sechs Monate an Bord. Der Rest der Crew neun Monate.
Auf dem Schiff leben wir wie eine Familie. Jeder kennt seine Aufgaben und geht seinen Pflichten nach, damit alles funktioniert. Bei diesem Vertrag arbeitet man sechs Stunden und hat sechs Stunden Pause. Doch du kannst jederzeit angerufen werden, bist immer stand by.
Das Leben auf See bedeutet auch immer Risiko: Am Horn von Afrika gibt es oft Piraterie. Sollten wir überfallen werden, sind unsere Regeln klar: Wir dürfen niemanden schlagen. Wir sollen die Angreifer als Familienmitglieder behandeln. Es gibt einen Notknopf, den wir im Falle einer Entführung drücken. Damit die Reederei und die zuständigen Behörden informiert werden. Manchmal werden einzelne Crewmitglieder entführt und gegen hohe Lösegeldforderungen wieder freigelassen.
Ein anderes Risiko ist die Wetterlage: Bei rauer See werden die Türen geschlossen und niemand darf sich hinausbewegen. Die Sicherheit der Mannschaft steht an erster Stelle.
Das Einzige, was wir dann tun können, ist beten.
Gehen wir in Deutschland oder Norwegen an Land oder liegen im Hafen, sehen wir Sauberkeit und einen hohen Lebensstandard. Es muss ein anderes Leben sein, als das in unseren Heimatländern, in denen die Kluft zwischen Arm und Reich so sichtbar ist.
Wenn ein Wagen der Bremer Seemannsmission an den Kai kommt, können wir uns mit Vitamintabletten und Süßigkeiten bevorraten, die es an Bord nicht gibt. Die Crew der Seemannsmission bringt auf diese Weise das Glück zu uns.
Ich liebe es, in Bremen auf Landgang zu sein. Ich laufe gerne durch die Altstadt, bewundere die schönen Fassaden und kaufe in den Geschäften der Obernstraße ein.
Mit meinen Seemannskollegen sehen wir wahrscheinlich aus wie Touristen.
Auch diesmal hat uns der Koch eine Einkaufsliste für den Asia Shop in der Langenstraße mitgegeben:
10 Kilo Zwiebeln
2 Kilo Frühlingszwiebeln
3 Kilo trockene scharfe Chilis
1 Kilo kleine scharfe Chillis
4 Dosen Garnelenpaste
4 Packungen Tempuramehl
2 Kilo Kokosnuss-Zucker
An Bord haben wir W-Lan. Das ist nicht selbstverständlich, denn es gibt auch Schiffe ohne Internet für die Besatzung. Ich schaue mir alles, was gerade im Trend ist, auf Youtube an. Am liebsten englischsprachige Filme. Was ich empfehlen kann, sind philippinische TV-Shows wie die tägliche „Show-Time“. Es geht um Spiele für bekannte Schauspielerinnen und Schauspieler, die als Gäste eingeladen sind. Es macht viel Spaß, es werden eine Menge Witze gemacht.
Der Schiffskoch hat eine sehr wichtige Funktion. Er ist der Küchenmeister. Von ihm hängt unsere mentale Gesundheit ab. Doch Mahlzeiten sind nicht nur essen. Mahlzeiten bedeuten Kommunikation. Mit den anderen sprechen. Wir reden über unseren Arbeitstag, über die Nachrichten, über unsere Gefühle …
Humor ist übrigens auch sehr wichtig an Bord. Wir erzählen uns lustige Sachen, nehmen uns immer auf den Arm.
Eine kleine Crew, wie unsere mit neun Personen, ist wie eine kleine Familie.
Manchmal kennen wir uns, weil wir schon einmal zusammengearbeitet haben. Wie hier auf unserem brandneuen Schiff.
Auf anderen Schiffen hatte ich es schon einmal erlebt, dass Leute nicht miteinander sprachen. Sie holten ihre Mahlzeit ab und zogen sich in ihre Kabinen zurück.
Das verändert die Atmosphäre an Bord.
Früher gab es mehr Gemeinsamkeiten an Bord: Man saß in einem großen Raum zusammen und schaute sich Filme im Fernsehen an. Oder auf dem Videoplayer einen Film, den jemand an Land gekauft und mitgebracht hatte.
Vor 11 Jahren war ich auf einem italienischen Schiff mit 26 Personen an Bord unterwegs. Was mich dort sehr beeindruckte, war die Einhaltung der Traditionen: Es gab ein gemeinsames Frühstück, Mittagessen und Abendessen. Der Tisch war wie in einem vornehmen Restaurant gedeckt. Jeder nahm an dem Essen teil und trug seine Uniform. Das war eine ganz besondere Atmosphäre – die heute wie aus einem Film erscheint.
Mein Name ist Volodymyr. Ich bin ein ukrainischer Seemann. In meiner Freizeit liebe ich Videospiele - am liebsten strategische und logische Aktionen.
Ich denke gerne nach. Dafür benötige ich Süßigkeiten wie Schokolade. Sie lassen das Gehirn besser arbeiten. Eigentlich bin ich immer dabei, irgendwelche Pläne zu schmieden.
Ich finde, das ist wichtig. Man braucht einen Plan zum Leben. Für heute, für eine Woche, für Monate. Und einen Plan für den Urlaub.
In meinem Job als Ingenieur verändert sich ständig alles, so wie es an Bord von Schiffen typisch ist: Du planst etwas. Die Tätigkeit, das Manövern, das Segeln, die Abfahrten und Ankünfte … und währenddessen haben sich die Pläne bereits geändert.
Für meine Zukunft habe ich folgende Bilder im Kopf: Einen Wald mit großen Bäumen, Berge, frische Luft, im Fluss Fische angeln.
Von Aserbaidschan in die Türkei sind wir zwei Stunden mit dem Flugzeug unterwegs.
Wir fahren von Novorossiysk im Schwarzen Meer nach Italien, nach Bari, Barletta.
Von Italien nach Kreta, von dort nach Alexandria in Ägypten. Dann weiter in die Niederlande nach Groningen. Von dort nach Litauen und weiter nach Liverpool. Und schließlich fahren wir weiter nach Deutschland: nach Bremen.
Von hier wieder zurück in die Türkei brauchen wir mit Ladung bei gutem Wetter 18 Tage.
Hallo! Mein Name ist Dick. Ich komme aus Holland.
Normalerweise sind wir 13 Personen an Bord. Unsere Offiziere kommen aus Holland. Die Crew aus den Philippinen.
Der Alltag an Bord unterliegt strengen Routinen. Man arbeitet, schläft, isst zu festen Zeiten … Unsere Küche ist den verschiedenen Kulturen an Bord angepasst. Jede Nationalität bekommt die landestypischen Speisen serviert.
Was ich als Holländer am liebsten esse? Kartoffeln. Und natürlich Frikandeln mit Mayonnaise. Oder mit Zwiebeln und Curry. Die gibt es einmal pro Woche. Sonst essen wir ein Stück Fleisch und Kartoffeln.
Unsere philippinischen Kollegen lieben Reisspeisen. Für sie werden verschiedene Currys zubereitet, die sehr lecker schmecken.
Ich bin nun seit fünf Jahren Seemann, arbeite an Bord als erster Offizier.
Ursprünglich wollte ich Biochemiker werden. Doch nach zwei Jahren Studium merkte ich, dass das nichts für mich ist. Und dann triffst du jemanden, der dir erzählt, wie cool doch das Leben auf See ist!
Die ersten vier Jahre hatte ich eine Freundin. Und jetzt habe ich eine Familie: meine Frau und die beiden Zwillinge.
Wir sind sechs Wochen mit dem Schiff unterwegs. Zwei Wochen für eine Strecke. Zuerst von Schweden nach England, dann in die Niederlande, dann wieder zurück nach Schweden.
Mit unserem Schiff, der LADY, transportieren wir Papierrollen, PKWs, LKWs und Bagger.
Borschtsch, Pelmeni und zum Frühstück gibt es Eier, Redfish-Sandwich. Es ist keine 5-Sterne-Küche. Aber nahrhaftes Essen, denn die Leute an Bord arbeiten schwer und benötigen viele Kalorien. Fisch, Fleisch, Hühnchen. Keine Meeresfrüchte. Dafür Tomaten, Reis und verschiedene Suppenarten.
Wir sind 16 Stunden von Hamburg nach Bremen unterwegs. Und dann weiter von Bremen nach Nordenham vier Stunden. Dort entladen wir unsere Fracht. Diesmal geschredderte Autoreifen.
Den Geruch nehmen wir nicht mehr wahr. Der gehört zu unserem Alltag. Genau wie das Brummen und Dröhnen der Maschinen in den Industriehäfen.
Arbeit hat immer auch ihre schwierigen Seiten. Das ist überall so und bei jedem Job.
Ich komme aus Moldawien und habe in der Ukraine, in Odessa, studiert. Ich arbeite als 2. Offizier an Bord. Auch mein Vater war Seemann. Eine Familientradition, wie es sie in vielen Berufen und in der Seefahrt ganz häufig gibt.
In meiner Freizeit höre ich gerne Musik. Am liebsten Pop, Rock und klassische Musik.
Mein Name ist Prince. Ich bin 27 Jahre alt und komme von den Philippinen, aus der Stadt Tagalo.
Ich bin der Älteste von drei Brüdern. Meine Eltern arbeiten nicht, deshalb verdiene ich das Geld, um alle zu unterstützen und kann mir eine eigene Familie momentan nicht leisten. Mein jüngster Bruder ist noch im College.
Wenn du ein Stipendium hast, ist die Bildung und alles andere auf den Philippinen gratis, wenn nicht, musst du alles bezahlen. Auch Schulgeld und Lehrmaterial.
Auf den Philippinen spricht man von der Grundschule bis zum College Englisch.
Inzwischen spreche ich auch etwas Russisch. Ich höre den russischsprachigen Kollegen an Bord zu und dann frage ich sie, was ihre Wörter bedeuten. Ich bin ein neugieriger Mensch. Ich frage alles und jeden.
Ich habe einen Bachelor in Marine Transportation, Seeverkehr, ein vierjähriges Studium. Anschließend befand ich mich in einer Traineeposition.
Aktuell arbeite ich hier als Assistent, soll aber demnächst befördert werden und werde im Bereich der Wartung arbeiten.
Als Schiffsbesatzung bekommen wir einen 10-Monats-Vertrag, für Off-Shore, z.B. für die Wartung von Bohrinseln oder Ölplattformen sechs Monate.
Auf See gibt es besondere Regeln: Du musst dich an jede Ladung anpassen, an jedes Schiff. Aktuell haben wir übrigens Schüttgut geladen: Stahlkohle.
Und du darfst niemals krank sein an Bord. Ich halte mich mit gesunder Nahrung fit und mit Vitaminen.
Unsere Arbeitszeiten? Auf dem Papier heißt es, dass wir uns mindestens sechs Stunden am Tag ausruhen sollen. Doch das ist meist nicht der Fall. Wir sind immer hier. Es gibt auch immer etwas zu tun: Malerarbeiten, Reparaturen … So ein Schiff ist ja monatelang auf hoher See im Einsatz.
Mit diesem Vertrag, zum Beispiel, bin ich zehn Monate unterwegs. Im Oktober wird mein Vertrag auslaufen und ich werde dann hoffentlich einen neuen erhalten. Damit ich meine Familie weiterhin unterstützen kann.
Wir transportieren Autoreifen. Unsere Ladung geht nach Istanbul. Vom Thamesport in England waren wir auf dem Flussweg in zwei Tagen in Bremen.
Von hier aus werden wir ca. vierzehn Tage in die Türkei unterwegs sein. Ein Containerschiff schafft 20 Knoten, unser Schiff nur 14 Knoten. Die Fahrtdauer hängt von den Wetter- und Windverhältnissen ab. Manchmal brauchen wir für diese Strecke 14 Tage, es können aber auch 17 Tage sein.
Bremen kennen wir nur von der Bordseite. Unsere Crew hat wenig Zeit.
Als Seemann schlenderst du bei Landgang nicht durch die Städte, sondern du rennst. Du hast keine Zeit, die Stadt zu genießen, dort eine Pause zu machen. Du musst deine Arbeit an Bord erledigen und erholst dich dann, wenn du wieder zu Hause bist.
Unsere Jungs sind mit verschiedenen Verträgen an Bord: Einige bleiben 4 Monate auf dem Schiff, andere 9 Monate.
Ich persönlich bin der 2. Offizier. Ich komme aus der Ukraine. Ein Teil unserer Mannschaft stammt von den Philippinen. Das Wichtigste an Bord ist gutes Essen, damit niemand schlechte Laune bekommt. Wenn es allen schmeckt, bleibt die Stimmung an Bord gut.
Unsere Fracht ändert sich übrigens immer. Diesmal sind es, wie gesagt, geschredderte Autoreifen. Was als nächstes kommt, wissen wir noch nicht.
Die verlassenen Schiffe
Die Internationale Schifffahrtsbehörde IMO (International Maritime Organization) mit Sitz in London veröffentlichte für das Jahr 2020 eine Statistik, wonach seit 2004 weltweit ca. 440 Schiffe mit ca. 5.700 Seeleuten abandoniert wurden. Da nicht alle Fälle an die IMO gemeldet werden, liegt die Dunkelziffer wohl deutlich höher.
Allein für den Zeitraum von Januar bis August 2020 wurden 470 Seeleute auf 31 Schiffen als "abandoned" gemeldet.
Gründe für das Aufgeben von Schiffen (Ship Abandonment) können von unterschiedlicher Natur sein. Hauptursachen für die Aufgabe von Schiffen und deren Besatzungen sind wirtschaftliche / finanzielle Schwierigkeiten der Schiffseigentümer (Reedereien). So kann es z.B. finanziell weniger verlustreich sein, ein Schiff aufzugeben, als weiterhin in Fahrt zu halten mit laufenden Betriebskosten wie Finanzierungskosten, Zinsen, Hafengebühren, Lohnkosten (Heuern) für die Besatzung etc.
Abandonnierte Schiffe liegen dann fest in verwaisten Winkeln entsprechender Häfen, während die Besatzungen, quasi als Geiseln, für unbestimmte Zeit an Bord ausharren (müssen): oft monatelang, jahrelang, unbezahlt, möglicherweise mit gefährlicher Ladung an Bord, ohne jegliche finanzielle Mittel, um die Heimreise bezahlen zu können, meistens ohne Proviant oder medizinische Versorgung. Ein Verlassen des Schiffes ist ohne Verzicht auf das Recht ausstehender Lohnkosten nicht möglich.
WILLIAM
Nachts auf der Kommandobrücke II
Timaru, der letzte Hafen der Neuseelandreise mit dem Turbinenschiff "ESSEN", das älteste Schiff der Reederei, das letzte "Dampfschiff" der Flotte - hinter mir die immer schwächer schimmernden Lichter des Hafens, vor mir der in undurchdringlichem Dunkel liegende Pazifik.
Mit einem: "May you have a safe voyage" verabschiedete sich der Lotse vor einer halben Stunde. Vor uns liegen 3 Wochen Seereise - quer über den Pazifik bis zum Panamakanal, eine einsame Wegstrecke - dann weitere 2 Wochen über den Atlantik bis zum ersten europäischen Hafen, Dünkirchen.
Wann werde ich sie wiedersehen, werde ich sie überhaupt jemals wiedersehen? Diese Ungewissheit - lähmend, kaum zu ertragen. Ich vermisse sie schon jetzt unbeschreiblich. Jede einzelne Umdrehung der Schiffsschraube, jede Minute bringt mich weiter weg von ihr. Bilder unendlich schöner Erinnerungen tauchen auf, beherrschen total meine Gedankenwelt - nur gut, dass sich ein leer erscheinender Pazifik vor mir erstreckt.
Die Bemerkung des 1. Offiziers beim Ablegen: "Du wirst sie vergessen", begleitet von einem schadenfrohen, spöttisch-süffisanten Grinsen, traf mich bis ins Innerste. Wenn ich eines weiß: Vergessen werde ich sie nicht, niemals, vielleicht erwartet mich ein Telegramm im Panamakanal? Die nächste Reise wieder nach Neuseeland? Mein erster Weg nach der Ankunft in Hamburg führt zur Reederei, bis dahin werde ich jeden Tag zählen....